Dienstag, 18. Oktober 2016

Rework: Вы найдете вас.

Ich darf mich kurz selbst vorstellen. Mein Name ist René Zitter. Seit 6 Jahren arbeite ich als gerichtlich anerkannter Dolmetscher für Russisch und Englisch. Ich lebe zusammen mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern in Frankfurt am Main. Anfangs übersetzte ich für ein großes Unternehmen, machte mich dann aber selbstständig. Der Job war perfekt für mich. Jede Menge Freizeit die ich mit meinen Töchtern und meiner Geliebten verbringen konnte und trotzdem stimmte das Einkommen. Meist waren es Geschäftsleute die auf dem Flughafen in Schwierigkeiten mit ihrem Pass oder sonstigem gerieten. Ein Zeitaufwand von einer Stunde und ich hatte ausgesorgt für den restlichen Monat. Alles lief gut, bis ich mich auf das Angebot vom städtischen Gericht eingelassen habe.
Am Gericht selbst bekam eine kurze Unterweisung, um was sich das Ganze drehte. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen zwei Mädchen vergewaltigt und danach getötet zu haben. Sein Vorstrafenregister sprach nicht wirklich für ihn, trotzdem sollte man immer an etwas Gutes im Menschen glauben. Aber nach den ersten beiden Verhandlungen bei denen ich übersetzte, bekam ich aber selbst immer mehr und mehr das Gefühl als würde er sich in ein Netz aus Lügen einspinnen.
Heute ist der Abend vor seiner wohl letzten Verhandlung. Ich wusste nicht weshalb ich nervös war, und war mir des Ausgangs der Verhandlung schon beinahe bewusst. Aber tief drinnen fühlte ich mich unwohl, weil alles so glatt von Statten ging.
Am nächsten Morgen kam ich leichter aus dem Bett als gedacht. Der Tag hatte eigentlich gut angefangen, meine Kleinste war im Kindergarten, die Größere in der Schule und meine Frau war in der Arbeit; mit meiner Geliebten traf ich mich also später. Die Verhandlung sollte erst gegen Mittag stattfinden, aber schon gegen 10 Uhr läutete mein Telefon und ich wurde zum Gericht berufen.

Es dauerte nicht lange bis ich dort ankam. Sofort wurde ich von zwei Wachmännern links und rechts in den Saal geführt. Da hätte ich schon bemerken sollen, dass das keine normale Verhandlung werden sollte. Es waren auch keine Angehörigen, geschweige denn Zuschauer gestattet.
Der Angeklagte saß neben seinem Anwalt, einem anderen als bei den ersten Verhandlungen. Beide unterhielten sich auf Russisch, konnten wohl kein einziges Wort Deutsch. Ich hatte den üblichen Platz in der Nähe des Richters auf einer erhöhten Position.
Der Anwalt, der seinen Platz direkt neben dem Angeklagten hatte, sah nicht wirklich professionell aus, passte optisch aber zu seinem Mandanten. Beide trugen nicht gerade saubere Kleidung, hatten zerzauste Haare und schiefe Zähne. Ohne dabei vorurteilhaft klingen zu wollen, aber eigentlich wie man sich einen typisch russischen Mann vorstellte.
Wie dem auch sei, die Verhandlung begann, und von dem Moment an war ich im Visier des Angeklagten. Er starrte mir die ganze Zeit über tief in die Augen. Ich übersetzte alles, was der Richter und die Staatsanwälte dem Angeklagten sagten, und natürlich dessen Antworten.
Je länger die Verhandlung dauerte, desto nervöser wurde er. Vor allem, weil der Blick des Angeklagten keine Sekunde von mir abwich. Selbst wenn er mit seinem Anwalt sprach, war sein Haupt zu mir gewandt.
Irgendwann fing er an sich zu weigern, auf einzelne Fragen zu antworten. Das geschah nicht zu seinen Gunsten, und die Geschworenen standen kurz davor, darüber abzustimmen ob er schuldig oder unschuldig sei. Nicht einmal 15 Minuten später stand das Urteil fest, alle wurden noch einmal in den Saal gerufen um das Urteil rechtskräftig zu sprechen. Der Angeklagte schien sich auf der sicheren Seite zu sehen, er grinste mich die ganze Zeit über an und zwinkerte mir zu. Plötzlich sagte er etwas auf Russisch. Ich brauchte einige Zeit um zu realisieren was es war. Er schien drohte mir. Er meinte, wenn er ins Gefängnis kommt, dann würde er der Mafia Bescheid geben, dass ich seine Aussage verfälscht habe. Er behauptete zu wissen wo ich wohne, und dass ich verheiratet bin. Dass er es ernst meinte, wusste ich erst, als er die Namen meiner beiden Töchter erwähnte. „Вы найдете вас.“, sagte er zu mir. Mir wurde beim bloßen Gedanken daran übel. „Sie werden euch finden.“ hieß der Satz übersetzt. Der Richter wollte wissen was er gesagt hatte, und nochmal sprach der Russe und sagte mir, dass wenn ich dem Richter erzählte, dass er mich bedroht hatte, das Ausmaß meiner Strafe weit schlimmer wird. „Er plädiert immer noch auf nicht schuldig.“, sagte ich dem Richter mit zitternder Stimme und aus den Augenwinkeln beobachtete ich wie der Russe mir zunickte.

Trotzdem fiel das Urteil auf schuldig, lebenslange Haft für die außerordentliche Brutalität beim Vorgang der Vergewaltigungen und der Morde. Ich informierte den Russen über den Stand der Dinge, er lachte nur und sagte mir auf Russisch: „Ich habe dich gewarnt.“




Nachdem ich aus dem Gerichtssaal gegangen bin und das Gebäude verließ, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als meine Töchter abzuholen und mich zu Hause zu verbarrikadieren. Die Schule lag näher, deshalb holte ich zuerst meine ältere Tochter ab, dann zum Kindergarten. Doch als ich dort ankam musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass weder meine ältere, noch meine jüngere Tochter dort waren wo sie hätten sein sollen. Ich rief meine Frau auf dem Handy an. Es klingelte eine halbe Ewigkeit. Mein ganzer Körper zitterte. Endlich hob sie ab. „Sind die Kinder bei dir?!“, brüllte ich vor lauter Panik ins Telefon. Ich hörte wie meine Frau am anderen Ende erschrak, doch sie antwortete, dass sie die beiden abgeholt hatte. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie erleichtert ich war. Plötzlich hörte ich die Klingel unserer Haustür. „Ich muss auflegen Schatz, jemand ist an der Tür.“ Klick. Aufgelegt… So schnell konnte es nicht gehen. Oder? Meine Nervosität stieg ins Unermessliche. Ich knallte die Autotür hinter mir zu und fuhr auf schnellstem Weg nach Hause. Dort angekommen, sah ich die Haustür offen stehen. Ach du Scheiße… So viele Dinge schossen mir durch den Kopf. Halb auf dem Gehsteig stellte ich das Auto ab und sprintete ins Haus und fand dort meine beiden Töchter spielend und meine Frau mit der Nachbarin tratschend. Das alles war irgendwie zu viel für mich. Ich konnte den Emotionen nicht standhalten und brach zusammen.

Als ich wieder aufwachte befand ich mich auf der Couch im Wohnzimmer. Die Sonne war längst untergegangen und der Vollmond schien durch das Fenster. Ich schrie nach meiner Frau. Keine Antwort. Ich schrie nochmals, lauter. Plötzlich kamen schnelle Schritte aus dem Flur und meine Frau kam schnaufend ins Zimmer. „Was brüllst du denn so?“, fragte sie mich mit ernster Miene. Ich ließ mich wieder zurück auf die Bank fallen, kurz vergaß ich, dass ich keine Zeit zum Zögern hatte.

Ich musste die Fenster und Türen schließen. Meine Frau hatte diese dumme Angewohnheit, die Haustür offen stehen zu lassen damit wir tagsüber immer frische Luft im Haus hatten, nur leider vergaß sie dann immer die Tür wieder zu schließen. Doch genau als ich den Türgriff in der Hand hatte, sah ich von der Straße eine dunkle Gestalt auf mich zukommen. Das Licht von drinnen fiel auf ihn und ich sah den glänzenden Metallgegenstand in seiner Hand. Als er mich bemerkte stürzte er auf mich zu und erreichte mich noch bevor ich die Tür schließen konnte. Der Gegenstand entpuppte sich als Messer, mit dem er sofort versuchte mich anzugreifen. Er zerrte mich hinaus ins Freie und schnitt mir in die Hand. Ich spürte wie Blut auf den Boden tropfte. Plötzlich stieß mich der Mann einfach um und lief davon. Einfach so. Bevor noch etwas Schlimmeres geschehen konnte lief ich zurück ins Haus, diesmal verschloss ich wirklich jede Tür und jedes Fenster. Meine Frau verband sofort die Wunde und als ich ihr erklärte was geschehen war, war sie genauso perplex wie ich. Alle Rollläden waren herunter und meine Frau wollte zu Bett gehen, als plötzlich noch einmal jemand an der Tür klopfte und die Klingel betätigte. Es war beinahe Mitternacht. Wer würde um diese Zeit noch zu Besuch kommen? Erst als ich von draußen hörte: „Aufmachen, Polizei!“ war ich etwas beruhigt. Ich öffnete den Herren die Tür, doch ich hatte nicht mit ihrer Reaktion gewartet. Es waren 4 Beamte, die hinteren beiden hatten längst ihre Pistolen auf mich gerichtet, als die anderen beiden mich auf den Boden warfen und mir Handschellen anlegten. „René Zitter, sie werden des Mordes verdächtigt.“ Ich schrie um Hilfe, doch natürlich konnte mir niemand helfen. Die Beamten zerrten mich in ihren Wagen und fuhren mit mir aufs Revier. Dort verbrachte ich die Nacht in U-Haft, die Verhandlung sollte schon am nächsten Tag stattfinden. Einen Anruf durfte ich zum Glück tätigen, und konnte so meiner Frau mitteilen, dass sie sich keine Sorgen um mich machen musste. Immerhin hatte ich nichts angestellt.

Der nächste Morgen kam in Windeseile, als hätte ich nur einmal gezwinkert, dabei war ich mir sicher kein Auge zugetan zu haben. Mit Handschellen wurde ich in den Gerichtssaal gebracht, in dem ich gerade noch einen Tag zuvor gedolmetscht hatte. Dieses Mal saß ich dort, wo letztens der Russe saß, dessen Urteil lebenslänglich lautete.
Die Verhandlung begann. Mir wurde ein Anwalt zugewiesen, der wohl vom Gericht selbst stammte. Ich muss zugeben, die Beweislast war erdrückend. Und erst viel zu spät bemerkte ich die ganzen Zusammenhänge. Es wurden sowohl meine Brieftasche, als auch ein Messer mit meiner DNA, um genauer zu sein, Blutspuren, gefunden. Keine Fingerabdrücke, aber die konnte auch jeder Laie verbergen. Nur wie kamen all diese Sachen an den Tatort? Es war so verdammt simpel. Sogar die Tatwaffe konnte ich wiedererkennen. Kein Wunder, mit dem Messer wurde ich ja auch angegriffen. Mein Auto hatte ich nicht verriegelt, verständlich also, dass sie an meine Brieftasche gekommen waren. Die Russen fackelten wirklich nicht lange.

Ich wollte mich rechtfertigen und erklären wie das alles abgelaufen war, doch selbst in meinen Ohren klang es nach einer schlecht erfundenen Geschichte. Ich bekam nur einmal die Chance etwas zu sagen, und da realisierte ich, was gerade geschah, passierte es…



Mit einem Mal saß ich aufrecht in meinem Bett. Das Laken und die Decke vollkommen verschwitzt, und dann saß ich da und dachte, ich würde damit zurechtkommen. Doch als ich hochsah standen die beiden vor mir, meine Frau und… meine Geliebte.

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