Sonntag, 16. Oktober 2016

05 - Untergegangener Stolz

Der Tag war heiß, das Wetter schwül, die Leute launisch. Was ihnen nicht zu verdenken war, bei 35 Grad Außentemperatur. Zum Glück hatten die meisten von ihnen ihren Kopf den größten Teil des Tages unter Wasser. Und schon wie an den letzten beiden, war diesen Sonntag wieder die seltsame Frau im Freibad, die vor 2 Wochen das erste Mal mein Interesse geweckt hatte.
Auch heute saß sie wieder die ganze Zeit entweder am Rand des Schwimmerbeckens oder auf der Bank gleich dahinter. Zum ersten Mal als ich sie sah, fragte ich mich noch warum sie nie selbst ganz ins Wasser ging. Da das Freibad weder groß war, noch irgendwelche Attraktionen zu bieten hatte, verirrten sich kaum Leute von weit weg hierher.
Da lag es nur nahe, einfach meine Mutter zu fragen, ob sie die Dame kannte. Meine erste Beschreibung reichte ihr aber nicht, um sie zu identifizieren. Ich fragte auch lediglich, ob sie eine seltsame Frau kannte, die immer wieder im Freibad auftaucht. Erst als ich ihr kurzes, zerzaustes Haar erwähnte, schien meine Mutter eine Idee zu bekommen um wen es sich handeln könnte.
Sie meinte, dass es eine ehemalige Klassenkollegin aus der Grundschule sein könnte. Ich sollte schauen ob sie am Hals zwei dunkle Muttermale hat. Als ich dann am Abend vom Schwimmen nach Hause kam, bestätigte ich ihre Vermutung. Darauf veränderte sich der Ausdruck im Gesicht meiner Mutter. Sie wirkte ein wenig besorgt, gerade so viel, dass ich noch einmal nachhaken musste.
Etwas widerwillig erzählte sie mir dann die Geschichte der Frau, von der ich immer noch nicht glauben kann, dass sie genauso alt wie meine Mutter sein soll…



Als sie noch gemeinsam zur Grundschule gingen, hatte ihr Vater sie des Öfteren misshandelt. Damals aber fehlten die nötigen Beweise um etwas dagegen zu unternehmen. Auch wenn die Eltern der anderen Kinder genau wussten was los war, wenn einer ihrer Schützlinge nach Hause kam und von den schrecklichen blauen Flecken auf Katis Körper erzählten. Eigentlich hieß sie Katja, aber ihre Mitschülerinnen gaben ihr diesen Spitznamen.
Erst als Teenager öffnete sie sich ein einziges Mal gegenüber einem Lehrer und das reichte, um ihren Vater für eine lange Zeit wegzusperren. Die Jahre darauf verbrachte Katja in einem Heim, in das sie vom Jugendamt gesteckt worden war, da auch ihre Mutter zu dieser Zeit nicht in der Lage war für sie zu sorgen.

Das skurrile an der ganzen Geschichte aber ist, dass Katja ihren Vater nach 25 Jahren Haft bei ihr zu Hause aufnahm. Beim besten Willen konnte ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass er sie irgendwie bedroht oder bestochen und somit dazu gezwungen hatte…

Und dann saß ich da, wieder eine Woche später, und direkt vor mir am Beckenrand saß Katja. Wie üblich hatte sie eine dicke weiße Schicht Sonnencreme über ihre Arme und Beine verteilt. Nur ihr Rücken war knallrot. Wahrscheinlich hatte sie niemanden, der ihr den Rücken eincremte, aber einen Vater der mich missbraucht hatte, würde ich auch nicht danach fragen.
Für gut 10 Minuten hatte ich überlegt, wie ich ein Gespräch mit ihr anfangen könnte, und beschloss dann einfach meine Mutter zu erwähnen. Als sie dann ihren Namen hörte, schien sie ein wenig fröhlicher zu sein. Ein kleines Lächeln hatte sich in ihr sonst so fades Gesicht geschlichen.
„Jetzt wo du es sagst, bemerke ich dass du ihr wirklich ähnlich siehst.“, merkte sie an. 
Sie sprach zwar sehr leise, aber ihre Stimme wirkte ruhig und angenehm. Erst jetzt fiel mir auf, dass ihr Blick immer einem älteren Herrn folgte, der sich im Wasser abrackerte. Er war auf jeden Fall nicht der beste Schwimmer.
„Kennen Sie den Mann?“, fragte ich höflich. Als Antwort nickte sie nur kurz und sagte: „Das ist mein Vater.“ Das Lächeln in ihrem Gesicht war noch nicht verschwunden, dafür das aus meinem aber umso schneller. Ich müsste lügen, wenn ich sagte, dass ich für diesen Menschen keinen Hass empfinden würde, auch wenn er dort im Wasser noch so hilflos wirkte. Trotzdem wusste ich nicht was ich sagen sollte und musste mich verabschieden um mich nicht in ihre Angelegenheiten einzumischen. 
Im Endeffekt ging es mich ja wirklich nichts an. Sie war zwar etwas überrascht, sagte aber nichts darauf und nickte noch einmal als Abschied.
~
Unterhalten hatte ich mich mit Katja wohl so gegen Mittag. Als ich dann um 8 Uhr nach Hause wollte, saß sie immer noch am selben Fleck. Der Sonnenbrand am Rücken war noch schlimmer geworden, nur der Rest war im Vergleich dazu blass. Das Freibad hatte sich schon fast komplett geleert. Neben uns und dem Bademeister waren vielleicht noch 2 oder 3 Andere hier. Gerade als ich mich eigentlich unbemerkt an Katja vorbeischleichen wollte, erblickte sie mich und sah mich glücklich und irgendwie verträumt an. Stolz sagte sie zu mir:

„Ist das nicht toll? Mein Vater hat vor zwei Wochen erst zu schwimmen gelernt, und jetzt taucht er schon eine halbe Stunde!“

2 Kommentare:

  1. Hallo Toki,
    interessante und skurile Geschichte mit einem heftigem Ende. Den Anfang fand ich etwas zu sprunghaft. Ich würde der Szene mit dem Bemerken der Frau und dem erweckten Interesse ein paar mehr Sätze widmen. Dass die Frau da ist, sie es schon die beiden Sonntage zuvor war und dass es dieses Interesse gibt, ist hier in nur einem Satz. Gib dem Leser vielleicht etwas Zeit sich auch für die Frau zu interessieren.
    Stolz ist sie wohl nicht wirklich? Mit dem Wort lägst du das Gewicht darauf, dass sie geistig zurück geblieben ist, was durchaus möglich ist. Ist das beabsichtigt?

    Liebe Grüße,
    Marc

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    1. Danke erstmal für die Kritik, du bist einer der Wenigen, die sich am Ende auch Zeit dafür nehmen um mir zu sagen, was sie von der Geschichte halten.
      Beim Anfang muss ich dir recht geben, hab ihn mir eben noch einmal durchgelesen. Vielleicht überarbeite ich es noch einmal.

      Und ja, das mit dem Stolz war schon so beabsichtigt, auch damit, dass sie am Ende wie du gesagt hast "geistig zurück geblieben ist". Das war durchaus auch mein Grundgedanke. Obwohl einer meiner Freunde das Ende eher als Witz, und die Story an sich sehr belustigend fand. Liegt wohl sehr im Auge des Betrachters ;)

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